Geschichte des Vereins Lebenshilfe Tirol

Am 13. August 1963 gründeten Sonderschullehrer rund um Dir. Karl Winkler in der Daniel-Sailer Schule in der Siebererstraße 9 den “Verein Lebenshilfe für das entwicklungsbehinderte Kind”.

Viele Eltern waren damals mit der Begleitung eines Kindes mit Behinderung alleingelassen. Nicht selten wurden Menschen mit Behinderung, die aufgrund eines fehlenden Angebotes verhaltensauffällig wurden, in die damalige Landesnervenheilanstalt Hall abgeschoben. Es ging darum Lernerfolge, die während der Schulzeit erzielt worden waren, im Rahmen einer sonnvollen Tätigkeit abzusichern und zu erhalten.
Dies war Karl Winkler (damals Sonderschullehrer) ein besonderes Anliegen. Er wollte nicht akzeptieren, dass Jugendliche in eine Anstaltung abgeschoben wurden.
Lesen Sie hier in eine Auszug aus der Lebenshilfe Tirol Chronik wie Karl Winkler die damalige Situatiom erlebt hat.

"Ich konnte und wollte mich nicht damit abfinden, dass ich 8 - 10 Jahre lang junge Menschen in der Schule lehre, erziehe und unterrichte, die dann in menschenunwürdiger Weise hinter Mauern einer Anstalt bis zu ihrem Lebensende verschwinden und dahinvegetieren müssen. Es muss doch etwas geben nach der Schulentlassung für unsere Kinder, ein Auffangnetz, irgendeine Hilfe, irgendetwas, - aber weit und breit war nichts in Sicht! Es gab wohl einen Verein zur Rehabilitation Leistungsbehinderter in Tirol, der sich vorwiegend für die Eingliederung in der Landwirtschaft einsetzte.


In diese unruhige und spannende Zeit fällt die Gründung des Vereines Lebenshilfe. So war es eigentlich Neugierde, die mich trieb, am Dienstag, dem 13. August 1963, schon vor 19 Uhr in das Lehrerzimmer unserer Schule in die Siebererstr.9 zu gehen, nicht ahnend, dass dieser Abend mein weiteres Leben doch wesentlich beeinflussen wird".

Das Proponentenkomitee unter der Leitung von Dir. Klingler (Direktor der Sonderschule) war bereits versammelt und traf die letzten Vorbereitungen für die um 20 Uhr stattfindende Sitzung. In der Tiroler Tageszeitung stand unter der Rubrik „Vereine rufen ihre Mitglieder“ eine kleine Anzeige, die auf die Gründung der Lebenshilfe hinwies. Ein deutscher Sonderschulrektor aus Deutschland, der auch eine Lebenshilfe - Werkstätte in Lübbecke betreute und mit 40 behinderten jungen Menschen in der Wildschönau auf Urlaub weilte, las diese Anzeige und erschien auch kurz vor 19 Uhr. Niemand hatte aber Zeit für ihn, und so bat mich mein Chef, dass ich mich um den deutschen Gast kümmern möge.
Und da geschah es. Herr Walter Wache, Sonderschulrektor in Lübbecke (Nord - Ostecke von Nordrhein - Westfalen im Wiehengebirge im Dreieck zwischen Hannover, Osnabrück und Bielefeld nahe dem Mittellandkanal gelegen) erzählte mir von seiner Arbeit als Leiter einer GB - Schule (Schule für geistig behinderte Kinder) und von seiner Freizeitbeschäftigung, dem Aufbau einer Werkstätte der Lebenshilfe, die er, als Spätheimkehrer nach einer langen russischen Gefangenschaft, unter nicht gerade einfachen Verhältnissen auf die Beine stellte. Übrigens war Walter Wache ein blendender hinreißender Erzähler und ich wahrscheinlich ein dankbarer Zuhörer - jedenfalls war die Gründung des Vereines für mich nicht von solcher Wichtigkeit wie das interessante Gespräch mit diesem deutschen Gast. Herr Wache lud mich ein, mit ihm mitzufahren. Am Ende dieses langen spannenden Abends stand fest: Ich fahre nach Abschluss seiner Ferienaktion mit ihm nach Lübbecke, damit ich alles kennenlerne und weiß, was Lebenshilfe überhaupt ist.
So fuhr ich gegen Ende August mit H. Wache für 10 Tage nach Deutschland. Jeden Tag besuchten wir Lebenshilfeeinrichtungen in Düsseldorf, Dortmund, Wuppertal, Kassel, Paderborn und in vielen kleineren Orten. Überall wurden wir gut aufgenommen, ich konnte alles erfragen, alle waren hilfsbereit und offen mir gegenüber, sodass ich jeden Abend nach vielen, vielen Autokilometern müde, aber voller Ideen heimkam.
Wieder daheim begann ich im Kellerraum der Allgemeinen Sonderschule, in dem weder Licht, Wasser und Heizung vorhanden war, eine Werkstätte für schulentlassene behinderte Jugendliche einzurichten. Die Lebenshilfe war geboren."
Die Wende
Die Aktion “Gesunde Kinder helfen kranken Kindern” brachte die ersehnte Wende. In allen Schulstufen unseres Landes wurde die Situation des behinderten Kindes zu einem Thema. Es wurde gleichsam ein Tabu gebrochen. Das bedeutete für den Verein den wirklichen Durchbruch. Die Gruppe konnte nach sieben Jahren (1970) “Kellerdasein” in das Haus am Domanigweg 3 übersiedeln, das die Stadt Innsbruck dem Verein zur Verfügung stellte.
 

Ausdehnung auf Bezirke
Mit dem Schritt aus dem Keller war bald der Weg in die Bezirke gefunden. Die ersten Einrichtungen waren Werkstätten. Obwohl sich auch zunehmend betroffene Eltern im Verein Lebenshilfe Tirol beteiligten, war ein Netz engagierter Sonderschullehrer maßgeblich für die rasche Beteiligung der Tiroler Bezirke an der Lebenshilfe Tirol. Die Lebenshilfe ist heute in allen Tiroler Bezirken tätig.

OSR Dir. Karl Winkler wurde am 15. August 2007 von Landeshauptmann DDr. Herwig van Staa für sein Engagement mit dem Verdienstkreuz des Landes Tirol ausgezeichnet.